Im See von Blatten ist Mitte Juni Öl zu sehen, das auf dem Wasser schwimmt. (Bilder: A.Walker)
Andreas Walker/FL
Schadstoffe ohne Gefahr für Grundwasser
Im Mai stürzten 9 Millionen Kubikmeter Geröll und Eis in das Lötschental im Wallis. Die Schutt- und Eismassen verschütteten in Blatten 130 Häuser. Das Wasser der Lonza wurde an den Schuttmassen gestaut, sodass sich ein See bildete, in dem die meisten noch verbliebenen Häuser von Blatten versanken.
Am 19. Mai dieses Jahres erhielten die Bewohner von Blatten die Anweisung, ihre Häuser und die Gemeinde sofort zu verlassen. Nach der Konsultation von Geologen sahen die Behörden des Kantons Wallis «eine konkrete Gefahr durch mögliche Bergstürze».
Am 28. Mai brach ein grosser Teil des Birchgletschers unter der zusätzlichen Belastung von rund 9 Mio. Tonnen Bergsturzmaterial des Kleinen Nesthorns (3342 m ü. M.) ab. Dadurch wurde eine Schutt- und Eislawine ausgelöst, die etwa 90% des Dorfes Blatten und den Weiler Ried verschüttete. Die Schutt- und Eismassen bedeckten den Talboden des Lötschentals auf einer Länge von rund 2 km und einer Breite von 50 bis 200 m. Dadurch wurde die Lonza aufgestaut und es bildete sich ein See, worin die letzten verbliebenen Häuser versanken. Eine Person ausserhalb der evakuierten Zone kam ums Leben. Die Weiler Weissenried und Eisten sowie die gesamte obere Talschaft über die Fafleralp bis zur Lötschenlücke blieben vom Bergsturz verschont.
Da die überfluteten Häuser in Blatten mit ihren Öltanks sowie wenigen Autos unter Wasser standen, bestand ein Risiko, dass Heizöl und andere Schadstoffe wie Kühlflüssigkeiten ins Wasser gelangen, die sowohl das Grund-, als auch das Oberflächenwasser verschmutzen könnten.
Deshalb wurde eine Sperre errichtet, um Heizöl und weitere Schadstoffe im See zurückzuhalten. Glücklicherweise gab es im Dorf keine grossen Industriestandorte, allerdings wurde die Kläranlage verschüttet. Trotzdem blieb das Trinkwasser für die Talbewohner sauber, da die Quellen nicht in diesem Grundwasserleiter liegen. Damit die Grundwasserqualität in der Gegend langfristig beobachtet werden kann, sollen weitere Messstellen installiert werden.
Der Gletscherabbruch oberhalb von Blatten weist gewisse Parallelen auf zum Felssturz am Piz Cengalo im Jahr 2017 auf, bei dem rund 3 Mio. m3 Felsmaterial auf einen kleinen Gletscher stürzten, diesen teilweise mitrissen und einen Murgang auslösten. Dadurch wurden schwere Schäden an der Infrastruktur im Dorf Bondo (GR) verursacht, acht Personen kamen dabei ums Leben.
Überwachung der Berge
Dank einem Frühwarnsystem, das GPS-Sensoren, Radargeräte und Kameras umfasste, konnte Blatten rechtzeitig vorgewarnt und evakuiert werden. In der Schweiz werden viele Berge überwacht. Dabei kommen verschiedene Technologien wie GPS-Sensoren, lasergestützte Reflektoren und hochauflösende Kameras zum Einsatz, die regelmässig Daten über Erd- und Felsverschiebungen liefern. Zudem erfolgt die Überwachung auch mit Fernerkundungs-Methoden. Satelliten, Drohnen und Flugzeuge liefern heute präzise Informationen. An Orten, wo Berg- und Felsstürze in der Schweiz möglich sind, wird das Gebiet mit Tausenden von Sensoren und Kameras überwacht. Dabei arbeiten spezialisierte Firmen oft im Auftrag von Bund und Kantonen oder auch der SBB und Bergbahnen. Klares Ziel dieser Überwachungen ist Menschenleben zu schützen und die Verkehrswege zu sichern.
Vorzeichen des Bergsturzes auch vom Weltraum aus sichtbar
Bereits zwischen 2016 und 2017 zeigten Satelliten- Bilder, dass sich der Hang an den Flanken des Kleinen Nesthorns langsam verschob. In den darauffolgenden Jahren wurden diese Bewegungen immer stärker und schneller. Bis 2023 bewegte sich der Hang schliesslich mit etwa 50 cm pro Jahr, in den jüngsten analysierten Bildern vom Sommer 2024 sogar mit einer Geschwindigkeit von 150 cm pro Jahr.
Laut der Europäischen Weltraumorganisation ESA zeigte dies klar einen Übergang von einer vergleichsweise langsamen zu einer schnellen Verformung und deutete darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Katastrophe deutlich erhöht war.
Die analysierten Bilder stammen von sogenannten L-Band-Satelliten. Diese Satelliten senden längere Radarwellen als andere, weiter verbreitete Satelliten wie etwa die Sentinel-1-Satelliten der ESA. Dadurch können sie besser durch Vegetation und komplexes Gelände dringen. Einige L-Band-Satelliten sind bereits im Einsatz, allerdings bisher in geringerem Umfang als andere Radar-Satelliten.
Die Installation von lokalen Sensoren an jedem alpinen Hang ist jedoch logistisch und finanziell nicht machbar. In solchen Fällen liefern die Satelliten brauchbare Daten.
Bergsturz hat Landschaft gänzlich verändert
Auch wenn die Lage im Lötschental einigermassen stabil ist, drohen noch weitere Felsstürze. So könnten Wasser und Eis einen Murgang auslösen und die Dörfer unterhalb von Blatten gefährden. Die Staumauer des Kraftwerks Lötschen dient als Rückhaltebecken.
Zugzeit ist die Sedimentlast im Wasser des Stausees zu hoch. Wenn dieses Wasser ins Kraftwerk geleitet würde, würde es die Maschinen und die ganze Anlage beschädigen. Deshalb musste die Stromproduktion eingestellt werden. Mit der Masse, die da liegt, kann es Monate wenn nicht Jahre dauern, bis ein vollständiger Normalbetrieb wieder möglich wird.
Auch die Naturlandschaft erlitt verheerende Schäden. Etwa 100 ha Bergwald wurden beim Bergsturz zerstört. Die zu tausenden weggerissenen Bäume vermischten sich mit den Eis- und Gesteinsmassen. Ein nur noch extensiv genutztes Wiesland am Berghang oberhalb von Blatten und Ried wurde 2010 wegen seiner biologischen Vielfalt als Naturschutzgebiet (Chruiterre) von nationaler Bedeutung verzeichnet. Dieses Biotop wurde durch den Bergsturz völlig zerstört. Die Lonza und ihre Nebenbäche gestalten seit dem Bergsturz eine ganz neue Auenlandschaft.
In Blatten existierten Häuser, die mehrere Jahrhunderte alt waren, was zeigt, dass das Dorf katastrophensicher war. Der Bergsturz von Blatten wird von Geologen als Jahrtausendereignis für das Lötschental eingestuft. Im gesamten Alpenraum passiert etwas Ähnliches in diesem Zeitraum ein paar wenige Male. Letztlich sind die Naturkräfte, die unseren Planeten formen, seit Urzeiten aktiv und sie werden es auch in Zukunft bleiben. Somit muss der Mensch lernen, mit diesen Ereignissen umzugehen und zu leben.
Klimawandel erhöht Naturgefahren
Ein Bergsturz in Randa 1991, ein Erdrutsch in Gondo nach einem Gewitter 2000, ein Bergsturz in Bondo 2017, Das Dorf Brienzauls, das permanent von einem Bergsturz bedroht wird und zurzeit evakuiert ist, 2024 Bergstürze und Murgänge oberhalb Lostallo und im oberen Maggiatal – und in diesem Jahr ein Bergsturz in Blatten. Man hat den Eindruck, dass die Alpen gefährlicher geworden sind. In den Schweizer Alpen gibt es seit je her instabile Gebiete. Mit der zunehmenden Erwärmung bekommen diese Instabilitäten auch in höheren Lagen eine immer grössere Bedeutung. Gletscher und Permafrost sorgen dafür, dass das Gestein stabil bleibt. Verschwinden diese, werden die Berghänge destabilisiert und das Risiko eines Bergsturzes nimmt zu.
Eine aktuelle Studie der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL bestätigt, dass der Klimawandel das Risiko von Naturkatastrophen in den Alpen erhöht. In Alpenregionen mit schmelzendem Permafrost kann es deshalb vermehrt zu Felsstürzen und Felswandeinbrüchen kommen.
Alpenregion erwärmt sich am schnellsten
Gerade die Schweiz ist vom Klimawandel besonders betroffen, denn die Alpen gehören zu den Regionen, die sich am schnellsten erwärmen. Im Vergleich zum vorindustriellen Niveau ist die Durchschnittstemperatur in den Alpen um fast 3 °C gestiegen, was etwa dem Doppelten des globalen Durchschnitts entspricht.
Die Destabilisierung von Felswänden ist das Ergebnis eines Prozesses, der Tausende von Jahren dauern kann. Witterungseinflüsse oder das Klima können jedoch den Zeitpunkt eines Ereignisses beeinflussen. Dabei spielen die lokalen geologischen Bedingungen und die Topografie eine wichtige Rolle. Wenn z.B. Schmelzwasser eines Gletschers in Risse im Gestein eindringt, dehnt es sich beim erneuten Gefrieren aus und trägt so zur Auflösung des Gesteins bei. Solche Vorgänge können irgendwann zu einem Bergsturz führen. Was Murgänge betrifft, hat die Zahl der Starkniederschläge, die sie auslösen können, deutlich zugenommen.
Letzte Dekade am wärmsten
Die globale Erwärmung wird besonders seit den 1970er Jahren besonders deutlich, denn seit dieser Zeit war jede Dekade wärmer als die vorangehende. Global traten die 5 wärmsten Jahre alle ab 2016 auf. Nach Angaben von MeteoSchweiz war 2022 in der Schweiz das wärmste Jahr seit Messbeginn 1864. Seit der vorindustriellen Referenzperiode 1871-1900 erwärmte sich die Erde um 1,3 Grad, davon 1,0 Grad allein in den letzten 30 Jahren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in Zukunft die Mitteltemperaturen in der Schweiz im Winter weiter steigen werden.
Höhere Nullgradgrenze, weniger Schnee
Nach Angaben des National Center for Climate Services verloren die Alpengletscher seit 1850 rund 60% ihres Volumens und in Gebieten unter 800 m Höhe hat sich die Zahl der Schneetage seit 1970 halbiert. Die Nullgradgrenze könnte bis Mitte dieses Jahrhunderts von heute 850 m auf bis zu knapp 1500 m über Meer ansteigen.
Zudem verändert sich der Schneefall durch zwei gegenläufige Effekte: Die erhöhten Temperaturen führen einerseits dazu, dass ein grösserer Anteil der Niederschläge als Regen fällt. Andererseits fallen im Winter insgesamt mehr Niederschläge. In der Summe wird unser Land jedoch eine deutliche Abnahme sowohl beim Schneefall als auch bei der Schneebedeckung erleben. Dies betrifft insbesondere die tiefen Lagen und das Frühjahr. Unterhalb von 1000 m wird die Schneebedeckung bis Mitte dieses Jahrhunderts um etwa die Hälfte, bis Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich sogar um über 80% verschwinden.
Gletscher schmelzen immer schneller
Die beiden Extremjahre 2022 und 2023 führten in der Schweiz zu einem Verlust von 10% des Gletschervolumens. In nur zwei Jahren verloren die Gletscher so viel Eis wie zwischen 1960 und 1990. Die beiden Extremjahre in Folge führten zum Zerfall der Gletscherzungen und dem Verschwinden von vielen kleinen Gletschern.
Der massive Eisverlust ist auf den sehr schneearmen Winter und hohe Temperaturen im Sommer zurückzuführen. Die Gletscherschmelze betraf die ganze Schweiz. Im Süden und Osten der Schweiz schmolzen die Gletscher fast gleich stark wie im Rekordjahr 2022. Im südlichen Wallis und Engadin wurde auf über 3200 m – also einer Höhe, in der Gletscher bis vor kurzem noch im Gleichgewicht waren – wiederum eine Eisschmelze von mehreren Metern gemessen. Der mittlere Eisdickenverlust beträgt da bis zu 3 m (z.B. Griesgletscher VS, Ghiacciaio del Basòdino TI, Vadret Pers GR) und liegt deutlich über den Werten des Hitzesommers von 2003. Etwas weniger dramatisch ist die Situation zwischen Berner Oberland und Wallis (z.B. Grosser Aletschgletscher VS, Glacier de la Plaine Morte BE), da dort im Winter nicht ganz so wenig Schnee lag. Dennoch ist der Verlust mit über 2 m an mittlerer Eisdicke sehr hoch.
Rekordtiefe Schneehöhen im Winter
Im Winter 2022/2023 fiel beidseits der Alpen kaum Niederschlag und es war sehr warm. Deshalb lag an allen Stationen deutlich weniger Schnee als üblich. In der ersten Februarhälfte waren die gemessenen Schneehöhen meistens noch etwas höher als in den schneearmen Wintern 1964, 1990 oder 2007. In der zweiten Februarhälfte aber sanken die Schneehöhen auf neue Rekorde und betrugen nur rund 30% des langjährigen Mittels. Auch oberhalb 2000 m zeigten mehr als die Hälfte der automatischen Stationen mit mindestens 25-jährigen Messreihen neue Rekord-Minima. Im Frühling 2023 normalisierte sich die Situation kurz. Aber der trockene und sehr warme Juni führte dazu, dass der Schnee 2–4 Wochen früher schmolz als üblich. Der drittwärmste Sommer seit Messbeginn und eine zeitweise rekordhohe Nullgradgrenze bis in den September waren verantwortlich, dass vereinzelte Sommer-Schneefälle meist wieder rasch dahinschmolzen und daher den Gletschern kaum halfen.